Wenn es still ist... Letzte Woche war es Vormittag im Garten sehr still. Ein Feiertag, und ringsum dicker Nebel. Keine Probleme weit und breit. Das Gewächshaus gehört ausgeräumt, das ist eine Sache, die einfach ist und man muss nicht viel dabei denken. Ein paar überraschende Paprika, zwei kleine Auberginen kommen zum Vorschein, und auch noch ein paar blasse Tomaten - das gibt noch mal ein Gericht aus Sommergemüse. So eine Stille kann auch unheimlich sein, aber die heute war heimelig. Die Erde dreht sich ganz still und sicher und nimmt uns mit. Da ist eine Ordnung, die ruhig und gelassen die Jahreszeiten aufeinander folgen lässt. Das Jahr geht zu Ende, es wird kalt, die Wärme des Sommers verfliegt. Es wird Wind geben und Regen und Schnee. Und gelegentlich wird es glatt werden und ein Sturm wird Bäume auf die Strasse werfen, wenn wir es gerade gar nicht brauchen können. Zweifellos würde eine Kommission, die die Jahreszeiten vernünftig einrichten sollte, das anders entscheiden. Irgendwie gerechter, umweltschonender und energiesparender. Irgendwas mit Lithium-Batterien. Und eine Verordnung erlassen mit einem schönen langen Namen wie Jahreszeiten-Veränderungs-Ausgleich-Verordnung. Oder so ähnlich. Aber die Erde dreht sich einfach still weiter. Sie atmet ein und aus. Sie wird grün, sie wird gelb, sie wird weiß. Sie braucht keine Verordnung und ordnet selbst immer wieder alles neu. Ich glaube, sie macht ihre Pläne in der Stille des Winters. Sie denkt dann darüber nach, wie sie die neue Fülle hervorbringen wird, wie sie wieder alles Leben pflegt und fördert. Auch uns Menschen, natürlich auch uns Menschen. Und sie freut sich, wenn wir mit ihr zusammenarbeiten. Sie freut sich, wenn es uns gutgeht. Aber sie freut sich auch - glaube ich - wenn wir uns bei den Sachen raushalten, die sie selbst am Besten macht. Sie hat länger Erfahrung mit all diesen Sachen. Ich glaube, sie lacht insgeheim ein bisschen, wenn wir uns einbilden, mit irgendeinem neuen technischen Schnickschnack wieder etwas retten zu wollen, das wir vorher verbockt haben. Sie lacht und dreht sich weiter. Wenn wir einen Schritt zurücktreten und ihr zuschauen, bekommen wir auch das Vertrauen wieder, dass die Erde ihren Job sehr gutmacht. Sie dreht sich still und überaus ressourcenschonend, trägt uns alle mit großer Geduld und Freundlichkeit. Manchmal glaube ich, dass die Erde uns Menschen ganz besonders gern hat. So wie Eltern ein Kind besonders gern haben, dass sich besonders schwer tut, das ein bisschen seltsam ist, besonders eigensinnig und widerstrebend und auch ein bisschen begriffsstutzig. Es wird schon noch mit euch Menschen, sagt sie. Nur ein bisschen Geduld, sagt sie, das ein oder andere Jahrtausend kann das schon noch dauern. Das kannst auch du hören. Doch die Erde redet ganz leise. Und deswegen hörst du sie vor allem an so stillen Tagen. Wenn du vor das Haus gehst, oder beim Spazierengehen. Oder eben im Garten, wenn der Nebel alle Laute dämpft, wenn selbst die Vögel nur ganz selten pfeifen, der Wind ganz langsam schleicht, wenn du, am Besten barfuß, in der Erde stehst, mit leichten Gedanken.
Frieden gibt es nur dann, wenn die Menschen nicht bloß gegen den Krieg, sondern auch gegen das Siegen sind. Elazar Benyoëtz Es hat einen guten Grund, dass bei so vielen Völkern des Wort „Frieden“ der Gruß ist, den Menschen austauschen, wenn sie sich begegnen: „Friede sei mit dir!“ Dieser Gruß bedeutet mehr als das, dass ich diesem Menschen Frieden wünsche . Er bedeutet vor Allem und zuerst, dass ich in Frieden bin und die Bereitschaft mitbringe, diesen Frieden zu teilen, wem ich auch begegne. Es gibt Zeiten, das ist das aber gar nicht so einfach mit dem inneren Frieden: da laufen Streitgespräche in mir ab, heftige Kämpfe darüber, was richtig ist, was gilt und was (nicht mehr) gilt, welche von meinen inneren Impulsen Recht bekommen. Kein Mensch bleibt von diesen inneren Konflikten verschont. (Tiere haben das nicht - das macht ihre Anwesenheit so angenehm). Innere Kämpfe halten mich wach die eine oder andere Nacht. Und dann, irgendwann, löst sich das und ich weiß, was - für mich - richtig ist, wie es sich „gut“ anfühlt, wie ich weitergehe. Wenn sich ein solcher innerer Streit löst, ist das ein überaus befreiendes Gefühl - sofort kann ich besser schlafen, und am Morgen schaut mich ein viel freundlicheres Gesicht aus meinem Spiegel an. Aber was ist mit dem Streit, der schon so lange in mir arbeitet, dass ich ihn kaum mehr spüre? Wie eine Stelle, die schon so lange weh tut, dass ich den Schmerz fast vergessen habe? Ich tue so, als wenn da nichts wäre, aber es nervt, es zehrt an mir die ganze Zeit. Oft steckt dieser Schmerz in ganz alten Sätzen über das, wie die Welt ist oder wie ich bin, und die ich wie zu eng gewordene Schuhe trage, äußerst unbequem, aber gewohnt. Zwar habe ich durch das Leben gelernt, dass es vielleicht doch anders ist, als ich, vielleicht schon als Kind, gelernt habe. Aber traue ich mich, die alten Vorstellungen loszulassen? Soweit betrifft es mich nur alleine - bis ich einem Menschen oder einem Umstand begegne, der mir diesen inneren Streit widerspiegelt. Und dann kann es mit einer Heftigkeit über mich und mein Gegenüber hereinbrechen, die uns überrascht, ja überwältigt. Der Streit in mir wird zum Streit im Außen. Ich habe den Frieden nicht mitgebracht, und dann finde ich in der Welt Streit. Je weniger ich von meiner inneren Landschaft weiß, desto erbitterter wird der Streit im Außen sein. Je mehr ich mich kennenlerne, je mehr ich annehme, was ich in mir vorfinde, desto mehr kann ich in Frieden mit mir selbst kommen und kann den Frieden mit den anderen Menschen teilen. Denn eines ist gewiss: du bist vielfältiger als du denkst, du bist vielseitiger als dein Selbstbild, du bist weniger schuldig als dein eigenes Urteil über dich, du bist fähiger als das Zeugnis, das du dir selbst ausstellst. Du hast viel mehr Vorlieben, als du dir zugestehst, andere und vielleicht seltsamere. Und du hast viel mehr unterschiedliche Meinungen zur selben Sache, als du vielleicht glaubst. Oder ganz anders: vielleicht hast du gar keine Meinung zu einer Sache, wo du glaubst, du müsstest eine Meinung haben. „Ich bin an meiner Meinung nicht so besonders interessiert“ hat Leonard Cohen einmal auf die Frage nach seiner Ansicht geantwortet. Das halte ich für einen genialen Ansatz auf dem Weg zu innerem Frieden. In Form einer Geschichte geht das so: Der weise Hodscha Nasruddin wird in einer Streitfrage aufgesucht. Die eine Partei trägt ihre Sichtweise vor und Nasruddin sagt: „Du hast recht!“ Und dann trägt die andere Streitpartei ihre Sichtweise vor und Nasruddin sagt „Du hast recht!“ Da ruft eine dritte Person, die auch dabei ist: „Aber du kannst doch nicht beiden recht geben, wenn sie die Sache so unterschiedlich sehen!“ Und da sagt Nasruddin: „Du hast auch recht!“ Also, wenn du wirklich ernsthaft mit mir über etwas streiten möchtest, sage ich dir gleich: Du hast recht. Und ich habe auch recht. Und die Lösung wird von woanders her kommen. Nicht aus unserem inneren Streit. Sondern aus unserem inneren Frieden.
Bei den Qigongkursen, wenn sie die Geschichte mit dem „Yin und Yang“ erklärt, stellt Luise öfters die Frage: „Was ist denn jetzt wichtiger, das Einatmen oder das Ausatmen“? Meist, wenn wir eine solche Frage hören, glauben wir, wir müssten und könnten sie beantworten - eines davon muss wichtiger sein, eines muss besser sein als das Andere. So ist die Welt, oder? Eines ist schwächer, eines ist stärker, eines ist mächtiger, eines muss sich unterordnen. Aber genau da ist bei Yin und Yang nicht so, und bei der Betrachtung der Welt aus der Sicht der klassischen chinesischen Kultur. Auch wenn das Eine hell ist - Yang - und das Andere dunkel - Yin - ist das nicht mit einer Wertung belegt, und es heißt nicht, dass eines gut und das Andere schlecht ist. Diese Pole kämpfen nicht gegeneinander, sie ergänzen sich, sie gehen fortwährend ineinander über. Das ist in dem bekannten Yin/Yang-Symbol dargestellt. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Wenn Luise dieses Thema bespricht, kommt oft diese Übung: „Jetzt atme mal ganz tief ein....!“ und wir alle atmen ein, tief, tief, tief.... und irgendwann, ziemlich bald eigentlich, wird uns die lebensspendende Luft in unseren Lungen zu viel und wir würden sie gar so gerne auch wieder auslassen und ausatmen - und machen es schließlich auch, obwohl die Luise vielleicht noch gar nicht gesagt hat, wie es weitergeht. Einatmen, Luft holen, ist so schön, und erscheint uns als das Wichtigste überhaupt, wenn wir den Atem angehalten haben, weil wir unter Wasser waren oder in dichtem Rauch. Doch wenn wir in die Lage kommen, dass wir nicht ausatmen können, dann ist das plötzlich das Schönste und Wichtigste. Dies eine Seite kann nicht ohne die andere, nichts ist wichtiger als das stete Schwingen zwischen den Polen. Eine Binsenweisheit? Eigentlich schon. Aber schon die alten Chinesen hatten viel Anlass, darüber zu sprechen und zu schreiben, wie auf dieses Gleichgewicht zu achten sei. Inzwischen lebt (fast) die ganze Menschheit, auch in China, in einer Gesellschaft, in der das Yang extrem überbetont ist. Helle Beleuchtung und Lärm durchbricht die Stille und Dunkelheit der Nacht, Schlaflosigkeit ist eine Volkskrankheit, nur wer Leistung bringt, nicht nachlässt, kann sich wertgeschätzt fühlen. Ruhe, Nachgeben, Dunkelheit, Weichheit, Abwarten sind schlecht angesehen. Es ist, habe ich kürzlich jemand sagen hören, als ob die ganze zivilisierte Menschheit immer nur einatmen wollte. Gerade ist Chinesisches Neujahr, der Beginn des Jahrs des „schwarzen Wasserhasen.“ Jetzt versuchen die Sterndeuter, aus den Zeichen der Zeit die Qualität des neuen Jahrs herauszulesen. Das muss man nicht alles glauben. Aber in diesen Äußerungen kam dieses Jahr mehrfach ein Gedanke vor, der sich an das Hasenbild knüpft, und wo es auch um das Gleichgewicht von Yin und Yang geht. Es sei ein Jahr, in dem viele Unternehmungen gut gedeihen. Daraus erwachse aber die Gefahr, dass das Wachstum (=Yang) den Kontakt zur Wurzel (=Yin) verliert. Das kommt zum Beispiel bei jungen Unternehmen vor (was heute Startups heißt), wenn sie so viele Aufträge bekommen, dass sie sie nicht mehr ausführen können. Irgendeine Grundlage (Yin) gerät in einen Mangel - irgendein Material, die Rücklagen, die mitarbeitenden Menschen, die benötigten Räumlichkeiten - etwas, das nicht sofort durch noch mehr Aktivität (Yang) geschaffen werden kann. Damit entsteht eine Erschöpfung, weil das Yang keine Ergänzung im Yin mehr findet. (Jetzt wo ich das schreibe, fällt mir auf, dass wir diese Geschichte auch im Großen mit der Erschließung (Yang) neuer Rohstoffe und Energiequellen (Yin) durchbuchstabieren könnten). Dies, so sagen die Weisen aus dem Morgenland, ist die Gefahr dieses Jahres. Das eigentlich gut Gedeihende „verhungert“ auf dem Wege, weil das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang so stark gestört ist. Denn es ist ein Gleichgewicht, das nicht auf Dauer gestört werden kann, ohne mächtige Ausgleichsbewegungen hervorzurufen. Das ist der Burnout nach einer Zeit nicht nachlassender Anstrengung (auch wenn es Anstrengung für die beste Sache der Welt war). Das ist die Schrumpfen nach großem Erfolg, das ist das Rezept, das nicht mehr aufgeht, nach dem es doch so lange so gut geklappt hat. Es muss nicht so weit kommen, sagen die Weisen (und die Luise). Aber es sagt auch die Erfahrung. Wenn in der Zeitung stand, dass jemand Prominenter gestorben war, pflegte Winston Churchill zu sagen: „Der hat bestimmt keinen Mittagsschlaf gemacht!“ In diese Richtung zu schauen, könnte in diesem Jahr recht heilsam sein: bewusst Ruhe geben, obwohl du noch etwas mehr arbeiten könntest. Weniger Pläne dazu, was du noch tun, und mehr dazu, was du lassen könntest, um glücklicher zu sein. Weniger reden, mehr lauschen. Weniger marschieren, mehr tanzen. Weniger denken, mehr staunen. Ein gutes Hasenjahr 2023 wünschen Luise und Peter.
Auf was warten wir? Der Apfel wird vom Baum fallen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm,- aber er kann weiter rollen als gedacht. Wir können einfach ganz da sein, im Moment, jetzt. Wir brauchen nicht zu warten. Wir werden es sehen, wenn er nicht mehr dranhängt- dann ist immer noch Zeit ihn aufzuheben und zu essen. Danke für die Fülle, für das was ich mir schon immer gewünscht habe, nur nicht vorstellen konnte, dass es so sein wird wie jetzt. Danke Danke Danke
Aus Erfahrung weiß ich, dass eine gute Medizin alles an mir einbezieht bei der Diagnose und Therapie. So bin ich froh, wenn eine Ärztin mich anschaut und alles von mir (fast alles) mit einbezieht. Solche Fragen helfen dabei: Bist du oft müde, ärgerlich, traurig? Hast du Husten? Atmest du leicht? Freut dich das Leben? Was ist in deiner Umwelt los, in deinen Beziehungen, bei der Arbeit? Schläfst du gut? Hast du gesunden Appetit und eine gute Verdauung? Bist du immer wieder erkältet, frierst du oder schwitzt du leicht? Die Antworten auf diese und weitere Fragen zeigen unseren Energielevel, das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang, Ruhe und Aktivität, Ausatmung und Einatmung. Alles wirkt ein auf uns, auch die Jahreszeiten. Wenn ich jetzt in den Garten gehe, spüre ich die Verbindung mit den Jahreszeiten deutlich, wie die zunehmende Kühle jetzt im Herbst. Und dann ziehe ich eine Jacke und Schuhe an, damit meine Füße im taufeuchten Gras warm und trocken bleiben. In der Klassischen Chinesischen Medizin gilt der Herbst als die beste Gelegenheit, um unser Immunsystem zu pflegen. Stärken wir uns also jetzt, damit wir im Winter gut über die Runden kommen, ohne größere „Erkältungen“. Dabei sind die Lunge und der Dickdarm die Organe, die das Abwehr-Qi grundlegend erzeugen. Jetzt im Herbst, in der Metallzeit, sollten diese Organe besonders gepflegt und genährt werden. Metall ist sehr dicht, das dichteste Element unter den fünf Wandlungsphasen Metall, Wasser, Holz, Feuer, Erde. Die aktuelle Zeitqualität fördert jetzt, nach dem Sommer, wo wir uns draußen in der Wärme ausgebreitet haben, uns mehr nach innen zu kehren und uns zu sammeln. Zur Lunge gehört die Atmung, zum Darm gehört das Loslassen und Ausscheiden von Unbrauchbaren. Das bedeutet auch das Loslassen von Dingen, Emotionen, Gedanken und alten Überzeugungen, die uns nicht mehr hilfreich sind. Die Bäume halten ihre Blätter nicht fest, sie lassen sie los. Die andere Seite ist das Einbringen der Ernte, um alles, was uns nährt und stärkt zu sammeln und gut unterzubringen, die Vorratskammern zu füllen mit Wesentlichem. Das sagt sich einfach, erfordert aber wirklich Aufmerksamkeit. Was will ich weiter mitnehmen in meinem Leben, was ist es wert, „über den Winter“ gebracht zu werden? Verdichten heißt auch aussortieren, eine Wahl treffen, was wirklich zählt und was ich brauche. Viele Kisten und Schachteln lagern hier im Haus mit Dingen, von denen ich geglaubt habe, dass ich sie irgendwann vielleicht wieder brauche. Jetzt habe ich Lust sie zu durchforsten und auszusortieren. Überholte Glaubenssätze und Überzeugungen können ähnlich „aufgehobenes Zeugs“ sein. Der Unterschied besteht darin, dass sie nicht den Raum in Kisten füllen, sondern den Raum in uns. Dadurch verhindern sie das freie Atmen und verbrauchen Lebensenergie. Lebendige und nährende Überzeugungen, solche, die wir mit Leben füllen, schenken uns Kraft. Alles wandelt sich immerzu. Wenn jetzt der Sommer vergeht, ist das irgendwie traurig, weil die Wärme schwindet und die Kälte des Winters naht (Trauer ist die Emotion des Lungenorgans). Es ist aber auch befreiend, wenn die lastende Hitze dieses Sommers sich löst. Der Wandel ist Leben - so wie dem Einatmen das Ausatmen folgt. Nichts bleibt je gleich, und das könnte beängstigend sein. Aber eigentlich bringt es Hoffnung - auf die Erneuerung, auf die Genesung - der nächste Frühling ist immer auch schon mit anwesend. In diesem Sinne wünsche ich uns immer wieder, in der Gegenwart unseres Atems zu sein und immer wieder liebevoll zu nehmen, was da kommt und loszulassen, was da gehen will.
Im Jahr 1969 erschien das Buch „Die Doppelhelix“ auf deutsch, von James Watson (nicht Dr. John H. Watson), das beschreibt, wie die Struktur der DNS entdeckt wurde. Es schildert nicht nur die Entdeckung wesentlicher Grundlagen der heutigen Molekulargenetik, es gibt auch einen guten Eindruck von dem geradezu bösartigen Kokurrenzkampf um diese Entdeckung (und den Nobelpreis) und das oft sehr irrationalen Verhalten der Menschen in der Forschung. Es hat dann nicht lange gedauert, bis es in der Katholischen Stadtbücherei aufgetaucht ist. Ich war, glaube ich, der Dritte, der sich in der Bibliothek dieses Buch ausgeliehen hat. Seitdem fasziniert mich dieses Thema. Ich bin 50 gewesen, als ich auf meine ersten Demo gegangen bin. Wegen der drohenden flächendeckenden Einführung der Gentechnik in der Landwirtschaft. Das war ein Thema, das mich sehr beschäftigt hat. Und es hat mich nicht nur beschäftigt, ich konnte der Dikussion auch gut folgen, weil ich mich so lange damit beschäftigt hatte. Ich weiss seit bald 40 Jahren, was eine m-RNA ist. In der Diskussion um die Einführung der „grünen Gentechnik“ gab es bestimmende, oft benutzte Argumente von Seiten der Befürworter. Eines davon war, dass die Menschen, die gegen die Einführung sind, anti-wissenschaftlich eingestellt seien. Mich hat dieses Argument verwundert, weil ich mich wissenschaftliche Themen schon immer sehr interessiert haben. Ich war/bin gegen die „grüne Gentechnik“ weil es so viele wissenschaftlich untermauerte Argumente für ihre Schädlichkeit gibt. Nachdem ich mich immer wieder in Gesprächen widerfand, wo wir lange und ausführlich aneinader vorbei geredet haben, hat sich dieser Punkt für mich so geklärt: die eine Seite hat von wisssenschaftlichen Modellen über genetische und ökologische Zusammenhänge gesprochen, und die andere Seite über Gen-Technik, also die technische Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse zur wirtschaftlichen Auswertung daraus ergebender Produkte. Hier kam von Seiten der Vertreter der „grünen“ Gentechnik diese Argumentationsfigur: Wenn du gegen diese/meine technische Anwendung bist, mit der ich jenen wissenschaftlichen Ergebnissen wirtschaftlichen Nutzen abgewinne, dann bist du gegen die dem zugrunde liegende Wissenschaft. Du bist also gegen genmanipulierten Mais: dann bist du gegen den wissenschaftlichen Fortschritt in der Genetik und wahrscheinlich glaubst du nicht mal, dass es Gene überhaupt gibt! Unmittelbar damit verbunden war die Behauptung, dass, wer auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse Techniken entwickelt und Unternehmen gründet, um die daraus entstandenen Produkte zu vermarkten, „wissenschaftlich“ handelt. Dass jede Handlung ethisch begründet wird (unausgesprochen oder ausgesprochen), dass für jeden Menschen die Verantwortung besteht, auf Grund welcher ethischer Werte er handelt, fällt dabei unter den Tisch. Die Firma handelt richtig, denn das ist wissenschaftlich belegt. Die Wissenschaft kann aber ihren Ergebnissen keine Werte mitgeben, die entscheiden, wie sinnvoll ist es, daraus eine Technik abzuleiten und einzuführen. Gerade wenn es um die Abschätzung von Technikfolgen geht, wird das ganz offensichtlich. Und es wird insbesondere dann wichtig, wenn sich politische Entscheidungsträger hinter der Autorität der Wissenschaft verstecken - und das haben sie bei der „grünen Gentechnik“ sehr lange gemacht - wo sie doch in ihren Entscheidungen immer von Werten ausgehen müssen. Natürlich sind alle für den wissenschaftlichen Fortschritt, das alleine aber kann keine politische Entscheidung zur Einführung einer Technik begründen. Schliesslich enthält unser Grundgesetz keine Meßergebnisse in Exeltabellen, sondern beginnt mit: Die Würde des Menschen... Ein zweiter wesentlicher Strang der Argumentation für die Einführung der „grünen Gentechnik“ war die Dringlichkeit: Wir müssen die Gentechnik in der Landwirtschaft schnell einführen, weil sonst die Menschen bald verhungern. Mit größerer Dringlichkeit, als das Sterben von Menschen zu verhindern, kann man ein Vorhaben nicht aufladen. Nun hatte (und hat bis heute) die „grüne“ Gentechnik-Industrie keine Produkte, die wirklich auf dem Feld Eigenschaften hatten, die dem Hunger in der Welt Einhalt hätten gebieten könnten. Das gibt diese Technik und diese Denkweise einfach nicht her - so gibt es das eine „Dürreresistenz-Gen“ nicht, das, in ein Getreide eingebaut, in Trockengebieten wogende Kornfelder hervorbringt. (Sehr wohl aber gab und gibt es von örtlichen Gemeinschaften entwickelte dürreangepasste Sorten von Feldfrüchten und entsprechende Anbausysteme, sprich Alternativen.) Was die Gentechnik hervorgebracht hat, sind in aller Regel für hochtechnisierte Agrarbetriebe „optimierte“ Pflanzen, die nur im Zusammenhang mit entsprechender Düngung, Begleitung mit dazu passender Agrarchemie zur Bekämpfung von tierischen und pflanzlichen Schädlingen einen gewissen Nutzen für die industrielle Landwirtschaft haben. Für die kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft, die noch immer den Großteil der Nahrung für die Welt hervorbringt, hat die Gentechnik bis heute keine positive Bedeutung. Es ist offenbar geworden, dass „grüne Gentechnik“ vor allem ein Geschäftsmodell ist, das auf eine Agrarindustrie zugeschnitten ist, die über Geld verfügt. Dem Hunger in der Welt - der ganz überwiegend die geld-losen Teile der Menschheit betrifft - kann sie nicht abhelfen, selbst wenn sie es wollte. Im Diskurs über die Gentechnik gab es also häufig folgende Agumente: das Argument der Dringlichkeit: Wir haben keine Zeit lange abzuwägen, denn wir müssen Millionen von Menschen vor dem Tod retten das Argument der Wissenschaftlichkeit: Wir handeln auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse, deswegen ist unser Handeln selbst auch wissenschaftlich begründet und evident richtig das Argument der Alternativlosigkeit: jede Kritik an der Sinnhaftigkeit unseres Handelns oder der Qualität unseres Produkts verbietet sich, weil es keine anderen Möglichkeiten gibt, deren Wert wissenschaftlich geprüft ist das Argument der fehlenden Beweise für den Wert anderer Denkweisen: andere Denk- und Handlungsweisen haben keine wissenschaftliche Evidenz und damit keinen Wert (auch wenn sie Jahrtausende praktischer Erfahrung verkörpern wie alte Nutzpflanzen-Sorten) die Nicht-Anwesenheit des Arguments, dass es (auch oder vor allem) um die Einführung eines Produkts geht, mit dem die Produzenten Geld verdienen wollen, dessen Herstellung und Verkauf das Vermögen derjenigen mehren soll, die da investiert haben Es sollte mich wundern, wenn du, mein lieber Watson, da nicht Parallelen mit anderen Diskursen der letzten Jahrzehnte bis in die jüngste Zeit entdecken könntest.
Nase im Wind - Heuschnupfen in der TCM Als meine älteste Tochter noch klein war, war ihr Lieblingsfreund ein Junge, der im Frühling immer mit Taucherbrille im Freien mit ihr unterwegs war, wegen der juckenden Augen. In der westlichen Medizin kann man den Heuschnupfen eigentlich nur von den Symptomen her lindern, aber tut sich schwer, wirklich etwas an den Ursachen zu ändern, den Heuschnupfen wirklich zu heilen. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geht es immer darum, sich zuerst ein Bild davon zu machen, wie die Energie des Menschen gestört ist, der die Symptome zeigt, die wir als Heuschnupfen bezeichnen. Solche Störungen entstehen zum Beispiel durch äußere Einflüsse wie dem Wind. Wobei „Wind“ nicht nur die Bewegung der Luft bedeutet, sondern auch die dahinter steckende Energie, die unsere Energie beeinflusst. Der Wind gilt als eine der Ursachen von Heuschnupfen - er trägt die Sachen, die jucken, in der Luft von einem Ort zum nächsten - und auch zu uns. Was bedeutet Wind in der TCM? Wind ist von seiner Natur her Yang und dringt meist über die oberen (Yang) Körperbereiche ein: Kopf, Augen, Nase, Hals. Wind ist einmal da und einmal dort, sprunghaft, beweglich und schnell. Die Symptome spiegeln den Wind wieder: plötzlicher, heftiger Beginn und Symptome, die wandern und sich mal da und dort zeigen. Wenn ich Menschen sehe, die bei Windwetter einen dicken Schal um den Hals tragen, und das Genick einziehen, aber dünne Socken anhaben, weiß ich: empfindlich auf Wind! Das heißt, dieser Mensch hat Wind in sich und bekommt Zustände, wenn von außen noch mehr dazukommt. Die „normale Erkältung“ wird auch vom Wind verursacht: es hat mich ein „Zug“ erwischt, heißt es, wenn wir Erkältungszeichen spüren nach einem windigen Tag. Wind löst Juckreiz aus (Augen), trocknet und macht steifer in den Gelenken. Allen Eindringlingen wird durch Wind das Eindringen erleichtert, ob Pollen, ob Kälte oder Erreger von Krankheiten. Wind ist dem Frühling zugeordnet in der Lehre der Wandlungsphasen, was bedeutet, dass wir besonders im Frühling auf den Wind aufpassen sollten, uns warm anziehen am Kopf und Nacken - Mütze und Schal - , und ihn gleich ausleiten, wenn er uns erwischt hat. Massieren, ein heißes Bad nehmen, Tee trinken ( Jade-Windschutz-Pulver) und Schwitzen. Eingedrungene Kälte kann die Leitbahnen „einfrieren“ und die Gelenke, Muskeln und Sehnen beginnen zu schmerzen. Die Kälte kann auch die Funktionen der Organe einschränken und dadurch die Prozesse verlangsamen, die von den Organen normalerweise reibungslos und schnell durchgeführt werden. Wenn der Wind sich mit der Kälte verbindet, dringt er als „Wind-Kälte“ in unseren Körper ein. Das lässt Heuschnupfen und Erkältungen entstehen. Wer zu Heuschnupfen neigt, sollte schon im Herbst beginnen, sein System entsprechend „windfest“ zu machen, nicht erst während der Allergiesaison. Es ist aber auch jetzt im Frühling eine gute Zeit, die Organe zu pflegen und das Abwehr-Qi, und damit ganz besonders das Lungen-Qi zu stärken, damit der Wind mit den „pathogenen Faktoren“ nicht unter die Haut eindringen kann. Für eine Kräftigung der Lungen sind seit langer Zeit Atemübungen im Qigong bekannt. Auch regelmäßige Waldspaziergänge (außerhalb der Allergiesaison) stärken die Lungen. Da die Lunge mit der Emotion der Trauer in enger Verbindung steht, ist es für ein gesundes Lungen-Qi heilsam, der eigenen Trauer eine Möglichkeit zu geben, sich zu zeigen, sobald sie auftritt, anstatt sie zu unterdrücken und anzustauen. Trauer, die sehr lange währt, schwächt genauso, wie die nicht gelebte. Heuschnupfen ist mit so vielen Aspekten verbunden, und es ist wirklich lohnenswert, die Wurzel zu ergründen. Körperwahrnehmung, nach Innen gehen und spüren, sind ein zentraler Aspekt der Erkundung. Qigong hilft vor allem dabei, selbst ins Tun zu kommen.
Als ich vor 30 Jahren nach einem Qigonglehrer gesucht habe, war ich ahnungslos, dass es da einen Unterschied gibt zwischen „stillem“ und „bewegtem“ Qigong. Deshalb war ich sehr erstaunt, dass sich ungefähr 100 Teilnehmer des Qigongkurses im Saal eines großen Hotels versammelt hatten, auf Stühlen sitzend. Ich hatte mir sowas vorgestellt, wie ich es zuvor beim Yoga kennengelernt hatte. Oder wenigstens mehr orange Farben und Räucherstäbchen. Qigong gibt es in vielen verschiedenen Übungsweisen, über 3000 verschiedene davon sollen es sein. Ein grundlegender Unterschied besteht zwischen den Übungen in Bewegung und Übungen in Ruhe. Ich hatte mir, ohne es wirklich absichtlich gewählt zu haben, das „Stille Qigong“ ausgesucht, die Übungen in Ruhe - weil der Lehrer so einen guten Ruf hatte. Ehrlich gesagt war das der einzige Lehrer, den es in weitem Umkreis zu dieser Zeit für Qigong überhaupt gab - UND er war mit Recht hochgelobt! Bei den bewegten Übungen bewegt sich der Körper (und mit ihm das Qi), bei den „stillen“ Übungen bewegt sich „nur“ das Qi im Inneren des Körpers. Die stille Form ist die meditative Art das Qi zu pflegen. Bei beiden Formen führt die Vorstellungskraft und die Absicht das Qi, die Lebenskraft. Am Ende dieses Wochenendseminars war ich angesteckt- und seither habe ich es, das Stille-Qigong-Virus und gedeihe vorzüglich damit. Viele Menschen habe ich in den folgenden Jahrzehnten absichtlich damit angesteckt. Am Besten ist es, beides zu können, die bewegten und die stillen Arten, aber die ersten zehn Jahre war es nur das Eine, das genügte mir vollauf- ich war ganz dabei. Dann begann ich mich auch für andere Qigongformen zu interessieren und reiste einige Jahre durch die Lande, um zu lernen und interessante Lehrer zu treffen. In der Heilpraxis und in Seminaren gebe ich weiter, was ich erfahren habe. In den letzten Monaten ist eine neue Herausforderung dazugekommen: Qingong online mit ZOOM. Peter war anfangs dagegen- ich habs trotzdem gemacht. In Echt war und ist es nicht möglich und so lernte ich es per Zoom. Nach einigem Anfangsrumpeln wussten wir, wies geht und durch die lange Praxis im Unterrichten war es gar nicht schwierig, es vor dem Computer zu machen. Und viele der Teilnehmer hatten vorher Unterricht bei mir life - wir haben einfach so weitergemacht. Wie freue ich mich, die Landshuter Teilnehmer wieder zu sehen und viele Andere, die weiter weg wohnen, oder die ich schon lange nicht mehr getroffen habe. Auch Neue sind dabei und werden ganz schnell zu „Alten“, wir sind gemeinsam in diesem nährenden Feld der Energie, das mit Qigong entsteht. Wir treffen uns auch deswegen, um in diesen herausfordernden Zeiten mit Hilfe von Qigong gemeinsam unsere Frustration und den Ärger, die Sorgen und Ängste auf eine gute Art zu mildern und verdaubar zu machen. Zum Beispiel so: Eine der Himmelsrichtungen jetzt im Frühjahr ist der Osten. Wenn wir in diese Richtung schauend Qigong machen, stärkt das die Leber und Gallenblase. Sie müssen gestärkt werden, weil die Anforderungen zu lang schon so sind, für die Mutlosen und das „nicht mehr wissen wie es weitergeht“. Andersrum, wenn sie gestaut sind, wenn es zu viel wird, stehen in der TCM Leber und Gallenblase für Frustration und Aggression. Die Himmelsrichtung, die dann bei Übungen gewählt werden kann, ist der Westen, der Blick in den Sonnenuntergang. Der Westen ist die Richtung für die Wandlungsphase Metall, das heißt die Lunge und der Dickdarm. Um Wut und den Frust zu regulieren, ist das bewusste Ausatmen und die Anregung der Darmpassage: „scheiß es raus“ - eine therapeutische Anwendung von TCM. Lieblicher gesagt: wir machen Übungen, um den Bauch zu entspannen, und um loszulassen. Qigong ist wirklich eine Schatztruhe voller Möglichkeiten. Die zu entdecken und selbstermächtigt für den Körper und Geist frische Energie zu erschaffen, das ist es wert, die Zeit des Übens und Lernens auf sich zu nehmen. In den alten Zeiten mussten die Schüler viel Mühe aufwenden, um bei einem Lehrer Qigong unterrichtet zu bekommen. Überhaupt waren diese Übungen eine Sache, für die nur wenige Menschen die Zeit und Gelegenheit hatten. Heute schalten wir das Internet ein- und da sind sie- die Übungen. Aber: bei einer Lehrerin, wie ich es bin (und viele Andere) in Echt zu lernen, macht immer noch den Unterschied. Übungen und Erfahrungen werden vom Lehrer zum Praktizierenden persönlich weitergegeben. Das ist die Sahne auf dem Pudding. Deshalb freue ich mich schon sehr, wenn wir uns wieder in life bei Kursen sehen. Bis es soweit ist, gehts weiter auf ZOOM.
Der berühmte Jazz-Pianist Herbie Hancock hat die folgende Geschichte über den (sehr berühmten) Jazz-Trompeter Miles Davis erzählt: Sie haben in Stuttgart ein Konzert gespielt, und Herbie Hancock war aus einem bestimmten Grund nervöser als sonst. So ist es passiert, dass er mitten im Spiel einen völlig falschen Akkord gegriffen hat. Er war so erschrocken - ein solcher Fehler beim Auftritt mit Miles Davis! - dass er die Hände über den Kopf zusammen geschlagen hat und eine Minute gar nicht weiter spielen konnte. Aber Miles Davis, erzählt er, hat auf diesen falschen Akkord, auf diesen Fehler, überhaupt nicht reagiert, als wenn etwas falsch wäre. Er hat in seine Improvisation einige Töne eingefügt, die diesen „falschen“ Akkord in einen Zusammenhang eingebunden haben, der als Ganzes richtig geklungen hat, ja richtig war . So war Miles, sagt Hancock, wenn etwas passierte, hat er sich keine Gedanken gemacht, ob das richtig ist, er hat auf eine Weise darauf geantwortet, dass es richtig ist. Das hat mir viel über das Leben gelehrt, sagt Herbie Hancock. Mir hat das gleich eingeleuchtet. Wie oft mache ich grossen Wind wegen Sachen, die andere machen, statt dass ich eine gute Antwort darauf finde, und mich mit meiner Verantwortung für mein Tun und Lassen in dieser Situation beschäftige. Freilich ist das mühsamer. Vielleicht ist es gerade das, was diese Zeit so anstrengend macht. Andauernd muss ich mich damit beschäftigen, Entscheidungen zu treffen, die ich so noch nie treffen musste. Was sind zum Beispiel die unbedingt notwendigen menschlichen Kontakte? Und wie viel Mühe mag ich einsetzen, sie auch wahrzunehmen? Wenn mich die Entscheidungen anderer Menschen andauernd zwingen, mich aus meiner Bequemlichkeitszone hinaus zu begeben, gibt es mindestens zwei Möglichkeiten: Mich über die Anderen aufzuregen, oder mich zu fragen, ob der fortdauernde Aufenthalt in der Bequemlichkeitszone wirklich das ist, für das ich meine Freiheit einsetzen will. Ist dafür meine Freiheit da? Und ist sie überhaupt da, wenn ich sie die meiste Zeit doch nicht in Anspruch nehme? Der Wert der Freiheit wird mir jetzt wieder schmerzlich bewusst: der Freiheit zu reisen, der Freiheit zu sagen, welche Ansicht ich zu den Vorgängen in der Gesellschaft habe, der Freiheit, über meinen Körper zu bestimmen, der Freiheit mich mit einer beliebigen Anzahl von Menschen an einem beliebigen Ort zu einem beliebigen Anlass zu versammeln - all die Freiheit, die in in einem weiten Rahmen so unverletzlich und unveränderlich und selbstverständlich mein Recht zu schein schien. Mir meiner Freiheit wieder ganz bewusst zu werden, in all ihren Möglichkeiten und all der Verantwortung, könnte eine solche Akkordfolge sein, die aus dieser - scheinbar so offensichtlich schlimmen - Pandemiezeit, diesem „falschen“ Akkord, (wieder) eine gelungene Melodie machen. Ich glaube, wir lernen gerade, dass das Leben kein 4/4-Marsch ist, sondern eine Improvisation - voller unvermuteter Einfälle von Seiten unserer Mitspieler, menschlicher und mikrobieller Mitspieler, und natürlich immer auch mit gelegentlichen Dissonanzen, die es aufzufangen gilt. Und ganz gewiss, wenn wir uns dem Fluss dieses Stücks hingeben, ist dieses Stück namens Leben auch jetzt voller Schönheit. Plattenempfehlung: Miles Davis, Kind of Blue https://www.youtube.com/watch?v=ylXk1LBvIqU&list=PLrhkpF1bKMG_D2sxTpxG63WGmIxYGB-Jt
Burnout beginnt beim Baby. Wenn wir noch nicht sprechen können, reagieren wir auf unsere Umgebung und verhalten uns so, dass wir überleben können. Wir passen uns an. Wenn die Zuwendung , die wir als kleines Kind bekommen, an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, dann erfüllen wir diese Vorgaben: keine Ansprüche stellen, still sein, den Menschen, die uns versorgen von den Augen ablesen, was sie von uns erwarten. Wenn wir Kinder sind und abhängig von den Erwachsenen, dass wir überleben können, ist das die einzig richtige Strategie. Wenn wir Erwachsene sind, kann diese Strategie uns das Leben kosten. Burnout ist die Folge , wenn ich über einen längeren Zeitraum meine Grenzen überschreite, um Ansprüche zu erfüllen, die mich bedrängen, von Außen und in mir darin. Ansprüche, die über meine Lebenskräfte gehen und auf Dauer nicht zu erfüllen sind. Die Anerkennung erfolgt nie, weil es nie genug ist. Der Esel bekommt die Karotte nie, die vor seinem Kopf aufgehängt ist. Wenn wir Glück haben, dann haben wir einen guten Freund, der sich traut die Wahrheit oft genug zu sagen, oder einen Schutzengel, oder ein Erlebnis, das uns aufweckt und befähigt wahrzunehmen, wie nahe am Abgrund wir uns aufhalten. Oder die Einsicht kommt später, wenn wir so erschöpft sind, dass es einfach nicht mehr so weitergeht. Und wenn das geschieht, ohne dass wir bleibenden Schaden genommen haben, ja dann haben wir Glück gehabt und ändern den Kurs. Im Grunde geht es um die Bereitschaft einzusehen, dass ein erfülltes Leben sich aus tiefen Quellen in mir speist. Was diese tiefen Quellen sind und wie ich daraus schöpfen kann- diese Fragen führen aus dem Burnout hinaus. Was wie das individuelle Schicksal eines Menschen aussieht, betrifft wie immer, die ganze Gemeinschaft der Menschen. Wir alle leben ein Leben, das uns überbeansprucht und die ganze Gesellschaft lebt ein Leben, das den ganzen Planeten überbeansprucht. 99% der Zeit,die wir als Menschen hier auf der Erde gelebt haben, haben wir ganz anders gelebt als jetzt. Darauf sind wir eingerichtet, nicht auf das, wie wir jetzt leben. Was wir als normal erachten und als Luxus sehen, ist der 8-Stunden-Tag. Ursprüngliche menschliche Gemeinschaften, „Unzivilisierte“, verbringen wie unsere Ahnen in Jahrhunderttausenden vielleicht drei oder vier Stunden mit gezielter zweckgerichteter Tätigkeit, das heißt Arbeit. Das ist es, was wir ohne dauerhaften Schaden zu nehmen auch aushalten. Der Rest des Tages gilt dem, was wir in unserer „Leistungsgesellschaft“ als Luxus anschauen: Spiel, Kunst, Tanz, Musik und vor allem Anderen dem Erzählen von Geschichten. Burnout beginnt , wenn wir uns „verheizen“, für Dinge, die ein Ersatz sein sollen für ein „echtes“ Leben: wie echte menschliche Gemeinschaft, wie Arbeit, die Freude macht und als sinnvoll erlebt wird, wie Zeiten der Stille, wie eine respektvolle Beziehung zu dem Planeten, der uns nährt und trägt und allen Lebewesen, die mit uns hier leben. Eine respektvolle Beziehung auch zu uns selber.